Welche Berufe und Qualifikationen werden zukünftig gebraucht?
„Nichts ist so beständig wie der Wandel“ – das gilt auch für Branchen und Berufe. Abhängig von zahlreichen Faktoren wie wirtschaftlicher Entwicklung, technischem Fortschritt oder Umweltbedingungen werden sie stetig neu an die aktuellen Gegebenheiten angepasst. Hierdurch entstehen auch neue Berufsbilder und alte, für die keine Nachfrage mehr besteht, sterben aus.
Um Veränderung frühzeitig zu erkennen und sich rechtzeitig darauf einzustellen, ist Forschung unerlässlich. Christian Schneemann vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) beschäftigt sich im Rahmen des QuBe-Projekts mit der Arbeitsmarktentwicklung in Deutschland. Er erklärt uns die Rahmenbedingungen der aktuellen Arbeitsmarkttransformation, welche Branchen und Berufe von Rückgang betroffen sind und welche künftig eine stärkere Nachfrage erfahren werden.
Der praktische Nutzen liegt auf der Hand: Bei der Qualifizierung von Arbeitskräften, aber auch bei der Berufswahl junger Menschen bedeuten zukunftsweisende Berufe Beschäftigungssicherheit und eine vielversprechende Entwicklung.
Grund genug für Akteure im Bildungsbereich, sich die ganze Sache einmal anzusehen. Zumal es im Bereich Berufsorientierung und Qualifizierung interessante Förderchancen gibt.
Inhaltsverzeichnis
Einflussfaktoren der Arbeitsmarkttransformation *)
Christian Schneemann:
Die drei D`s sind die großen Herausforderungen für die zukünftige Entwicklung des Arbeitsmarktes und der Wirtschaft. Sie beeinflussen sich aber auch gegenseitig. So kann die Digitalisierung einen positiven (Effizienzgewinne), aber auch einen negativen (Energieverbrauch der Server) Beitrag im Bereich der Dekarbonisierung leisten. Auch die demografische Entwicklung beeinflusst die Umsetzung der Digitalisierung und hat auch Einfluss auf die Dekarbonisierung, da Ältere ein anderes Mobilitätsverhalten an den Tag legen. Aktuelle Ergebnisse wie die Pandemie und der Angriffskrieg auf die Ukraine haben Einfluss auf diese Herausforderungen. Die Pandemie war zum Beispiel ein Treiber für die Digitalisierung und der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine könnte zu einem beschleunigten Ausbau bei den erneuerbaren Energien in Deutschland und Europa führen.
Die QuBe-Basisprojektion gibt die Arbeitsmarktentwicklung wieder, wenn bestehende Trends und Verhaltensweisen im Bildungssystem und in der Ökonomie beibehalten werden. Sie macht somit einen konsistenten Entwicklungspfad sichtbar. Die durch die Coronavirus-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Einbrüche im Jahr 2020 werden in der Basisprojektion als "externer Schock" betrachtet. Somit gilt in der Basisprojektion die Annahme, dass die COVID-19-Krise zu keinen langfristigen Verhaltensänderungen führen wird.
(Quelle abrufbar im Internet unter: https://www.bibb.de/de/131904.php)
Fachkräfteengpässe und -überhänge *)
- Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe
- Informatik-, Informations- und Kommunikationstechnologieberufe
- Medizinische Gesundheitsberufe
- Nichtmedizinische Gesundheits-, Körperpflege- und Wellnessberufe, Medizintechnik
Christian Schneemann:
Auf der Bundesebene gibt in einigen Berufen Fachkräfteengpässe und -überhänge. Hierfür wird im Modell die Suchdauer betrachtet. Je höher diese Suchdauer ist, umso schwieriger ist es für Unternehmen, die Stelle zu besetzen. So wird sich zum Beispiel die Situation im Bereich der IT und medizinischen Gesundheitsberufen weiter verschärfen. Im Einkauf und im Bereich der Steuerberatung kommt es hingegen zu einer leichten Entspannung der Situation am Arbeitsmarkt.
Branchenergebnisse am Beispiel Nordrhein-Westfalen *)
Wie im Bund entstehen bis 2040 vor allem Arbeitsplätze im Bereich der IT und dem Gesundheitswesen, aber auch im Gastgewerbe. Auch werden in NRW im Groß- und Einzelhandel Arbeitsplätze abgebaut. Es werden zudem auch weniger Arbeitskräfte im Baugewerbe benötigt. Allgemein kann man sagen, dass vor allem in den Berufshauptgruppen Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe, Informatik-, Informations- und Kommunikationstechnologieberufe und den Gesundheitsberufen die Nachfrage nach Arbeitskräften weiter steigen wird.
Dabei wird man nicht aus einem Lagerlogistiker einen IT-Spezialisten machen. Aber vielleicht kann sich der Lagerlogistiker durch eine Weiterbildung besser für das aktuelle Berufsbild qualifizieren und so seinen Arbeitsplatz absichern.
Einen ausführlichen Überblick über die Weiterbildungsmöglichkeiten für Erwachsene finden Sie beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Weiterbildung für Einzelpersonen
mit AVGS und Bildungsgutschein. Beide werden von der Bundesagentur für Arbeit oder dem Jobcenter ausgestellt. Mit dem AVGS (Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein) erhält die arbeitssuchende Person eine Förderzusage für eine Maßnahme zur beruflichen Eingliederung.
Der Bildungsgutschein hingegen ist eine Zusage der Kostenübernahme für eine berufliche Weiterbildung, er ist meist auf ein bestimmtes Bildungsziel beschränkt
Weiterbildung im Unternehmenskontext
Während durch das Qualifizierungschancengesetz Weiterbildungen für von der Arbeitsmarkttransformation betroffene Arbeitnehmer förderbar sind, unterstützt das Teilhabechancengesetz die Wiedereingliederung langzeitarbeitsloser Personen
Weitere Infos
Berufsorientierung junger Menschen am Übergang Schule-Beruf
Das bundesweite Berufsorientierungsprogramm ist wohl das bekannteste Programm, das Jugendliche mit dem Gedanken an die Berufswahl vertraut machen soll.
Im Rahmen eines regionalen Übergangsmanagements entstehen durch die Vernetzung verschiedener Kompetenzen Synergieeffekte für die Berufsorientierung Jugendlicher: Jugendamt, Schulen und teilweise auch die Agentur für Arbeit arbeiten zusammen, um Schülerinnen und Schülern eine möglichst umfassende Berufsorientierung zu gewährleisten. Zahlreiche Kommunen haben dies bereits eingeführt.
Berufsorientierung oder Weiterbildung: Für alle
Immer eine wertvolle Unterstützung, wenn es darum geht, Berufsinteressen und individuelle Möglichkeiten junger und lebensälterer Menschen objektiv und strukturiert abzubilden: der geva-test© für Bildungseinrichtungen
"Die Knappheit an Arbeitskräften prägt weiterhin die Situation am Arbeitsmarkt." Interview mit Herrn Schneemann
Christian Schneemann: Transformation oder Wandel am Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft gab es schon immer. Wandel ist somit der Normalzustand. Gerade sind die Hauptreiber aber der demografische Wandel, die Dekarbonisierung der Wirtschaft und die Digitalisierung. Aktuelle Geschehnisse wie die Pandemie und der Angriffskriegs Russland gegen die Ukraine und die damit verbunden Sanktionen beschleunigen solche Transformationen dann.
Welche Berufe haben Zukunft, welche sterben aus?
Dazu können wir keine genauen Aussagen machen. Es werden fast alle Berufe auch weiterhin benötigt. Allerdings dürften sich in einigen Berufen die Tätigkeitsprofile ändern. Dafür bedarf es dann Weiterbildungen und Umschulungen.
Worin besteht aus Ihrer Sicht der praktische Nutzen, den (regionale) Bildungseinrichtungen aus den bisherigen Ergebnissen des Qube-Projekts ziehen können? Wie sollten sie die Berichte lesen, um gewinnbringend damit arbeiten zu können?
Wichtig ist es zu verstehen, dass unsere Projektionen immer annahmengetrieben sind. Sie können somit immer nur als Hinweis interpretiert werden, in welche Richtung sich der Arbeitsmarkt entwickeln wird. So gibt es Faktoren, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit so entwickeln werden, wie zum Beispiel die Überalterung der Gesellschaft. Andere Faktoren wie die Elektromobilität können je nach Gestaltung zu unterschiedlichen Effekten führen. So kann es negativ für den Arbeitsmarkt sein, wenn wir die meisten Teile für das E-Auto nur aus dem Ausland importieren. Aber es können sich auch positive Arbeitsmarktentwicklung ergeben, wenn wir zum Beispiel die Batterien vermehrt im Inland herstellen. Die Projektionen sind viel mehr als Richtungshinweise zu interpretieren. Eine passgenaue Planung des Arbeitsmarktes ist natürlich nicht möglich.
Gibt es überhaupt regionale Unterschiede, d.h. regional unterschiedliche Antworten auf die Frage: „Welche Berufe und Qualifikationen werden zukünftig gebraucht?“
Gibt es irgendwo vergleichbare Daten für die einzelnen Regionen?
Es gibt zum Beispiel vom BBSR eine Übersicht über das regionale Arbeitskräfteangebot bzw. Informationen über die Bevölkerungsentwicklung vor Ort. Allerdings gibt es dort keine Übersicht über die zukünftige Entwicklung nach Berufen und Branchen.
Der vierte Bestandteil des QuBe-Projektes, der für eine Interaktion zwischen Angebot und Nachfrage sorgt, wird in der Mitte der Abbildung dargestellt. Der Übergang von den erlernten Berufen zu den ausgeübten Berufen wird durch die Modellierung der sogenannten Flexibilitätsmatrizen abgebildet, auf die Lohnentwicklungen Einflussnehmen. Auf die Lohnentwicklungen wiederum wirken ökonomische Veränderungen sowie berufsspezifische Gegenüberstellungen von Angebot und realisiertem Bedarf an Arbeitskräften.
Aufgrund der feingliederigen Darstellung der 141 Berufsgruppen nach 63 Wirtschaftszweigen und nach 4 Anforderungsniveaus auf Basis von Mikrozensus-Daten lassen sich durch die gewählte Modellierung Veränderungen der Produktionsweise in den Branchen, der Berufsstruktur nach Branchen und der Anforderungsstruktur abbilden.