Treiberfaktoren der Mitarbeiterbindung
Warum Unternehmen die Emotionen ihrer Belegschaft im Blick haben sollten
Der Arbeitsmarkt steht aktuell ganz im Zeichen der Mitarbeitenden. Angesichts des knappen Angebots an qualifizierten Fachkräften stehen Unternehmen vor der Herausforderung, bereits im Unternehmen tätige Mitarbeitende langfristig zu binden. Erfahrene und engagierte Kräfte sind ein immer wertvolleres und immer selteneres Gut, das nicht nur maßgeblich zur Leistungsfähigkeit des Unternehmens beiträgt, sondern das auch nicht mehr so leicht ersetzt werden kann. Der Verlust qualifizierter Mitarbeitender bedeutet nicht nur den Verlust von Wissen, sondern auch einen erheblichen finanziellen und zeitlichen Aufwand für die Rekrutierung und Einarbeitung neuen Personals. Es ist daher effizienter, bestehende Mitarbeitende langfristig zu binden, anstatt kontinuierlich nach neuen Talenten zu suchen.
Fundamental: Identifikation mit dem Unternehmen
Die Identifikation mit dem Unternehmen geht über die bloße Arbeit hinaus. Es ist ein tief verwurzeltes Gefühl der Verbundenheit und des Stolzes, das Mitarbeitende dazu bringt, sich voll und ganz mit dem Unternehmen zu identifizieren. Werkstolz gehört dazu, also das Gefühl, etwas Wichtiges und Sinnvolles zu schaffen. Wer emotional gebunden ist, setzt sich für den Erfolg des Unternehmens ein, spricht auch im privaten Umfeld positiv über seinen Arbeitgeber und verspürt nicht den Wunsch, nach anderen Beschäftigungsmöglichkeiten zu suchen. Emotional gebundene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben ein starkes Vertrauen in die Zukunft des Unternehmens und in die Fähigkeiten und die Glaubwürdigkeit des Managements.
Was Mitarbeitende motiviert – und was sie demotiviert
Was aber sorgt dafür, dass Menschen in Organisationen ein Gefühl der Bindung erleben und auch nachhaltig entwickeln? Was sind die Treiberfaktoren für Motivation – und welche Faktoren sorgen für Demotivation?
Eigentlich ist es ganz einfach: Jeder Mensch hat ganz individuelle Erwartungen an gute Arbeitsbedingungen. Um Mitarbeitende zu halten oder neue zu gewinnen, müssen Unternehmen die Erwartungen ihrer Mitarbeitenden an gute Arbeitsbedingungen kennen und zumindest weitgehend erfüllen. Leider ist das nicht ganz einfach, denn die Erwartungen unterscheiden sich interindividuell recht stark. Manche Manager traditionellen Typs können es oft nicht glauben, dass weder die Höhe der Vergütung, noch die freiwilligen Sozialleistungen, noch das gestylte Büro oder das coole Arbeitsoutfit zu den wesentlichen Treiberfaktoren der Identifikation und Bindung gehören.
Täglich wird die erlebte Situation am Arbeitsplatz mit einem persönlich definierten Sollzustand abgeglichen. Immer wieder aufs Neue. Jeden Tag. Wenn man nun regelmäßig negative Soll-Ist Diskrepanzen erlebt, insbesondere bei den Merkmalen, die einem persönlich besonders wichtig sind, dann resultieren Demotivation, Unzufriedenheit, Frustration, manchmal auch Resignation. Dies führt zu Fluchtgedanken („ich suche mir einen anderen Job“) oder innerer Kündigung. Wer Chancen am Arbeitsmarkt hat, geht. Wer diese nicht hat, bleibt und reagiert bestenfalls mit einer „Dienst nach Vorschrift-Haltung“ oder zeigt offen seine Resignation und seinen Missmut. Beides ist nicht zielführend. Es lohnt sich, motivationsfördernde Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Mitarbeiterbindung erkennen und messen
Doch was kann man tun? Man ist gut beraten, die Welt der Vermutungen und der Vorurteile zu verlassen. Denn man kann durchaus messen, wie die Arbeitsbedingungen von den Mitarbeitenden in einer Organisation wahrgenommen und bewertet werden. Man kann ebenfalls untersuchen, wie relevant diese Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten sind. Zudem ist es ratsam, die Ergebnisse nach Führungseinheiten zu differenzieren, denn die Wirkung der Führung „vor Ort“ hat einen deutlichen Einfluss auf Motivation und Bindung. Dazu braucht es ein inhaltlich und methodisch differenziertes Vorgehen, um ein umfassendes Verständnis der Arbeitsbedingungen und der Erwartungen der Mitarbeitenden zu erlangen.
Eine gründliche Analyse und Bewertung der Ergebnisse ist Voraussetzung, um Probleme und Engpässe zu identifizieren und gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Mitarbeiterbindung zu entwickeln. Die Methode der Wahl ist eine handlungsorientierte, auf die Situation des Unternehmens zugeschnittene Befragung der Mitarbeitenden. Und dies nicht nur aus der Not heraus, sondern systematisch, kontinuierlich und differenziert. Den gewünschten Erkenntniswert können keine oberflächlichen Pulsbefragungen liefern, bei denen meist nur ein allgemeines Stimmungsbild erhoben oder lediglich ein Weiterempfehlungswert wie der ENPS (employee-net-promoter-score) gemessen wird.
Entscheidend ist die Glaubwürdigkeit einer Mitarbeitendenbefragung: Wird die Befragung als ernstzunehmende Analyse der Situation im Unternehmen wahrgenommen („Unternehmensberatung von der Basis“) mit dem Ziel eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses? Oder hat das Projekt das Negativimage einer oberflächlichen Alibiveranstaltung? Letzteres wäre aus Sicht der Mitarbeitenden kontraproduktiv und würde nur die weitere Distanzierung vom Unternehmen fördern. Es ist wichtig, den Mitarbeitenden zu vermitteln, dass ihre Meinungen und Bedenken ernst genommen werden und dass das Unternehmen aktiv auf ihre Anliegen eingeht. Eine offene und transparente Kommunikation über die Ergebnisse und der Folgerungen aus der Mitarbeiterbefragungen sowie die Umsetzung konkreter Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Mitarbeiterzufriedenheit sind entscheidend, um das Vertrauen und die Motivation der Mitarbeitenden zu stärken.
Meta-Analyse des geva-instituts: Determinanten der Mitarbeiterbindung
Warum können sich manche Mitarbeitende stark mit ihrem Unternehmen identifizieren, während andere keinerlei Verbundenheit spüren? Diese Frage ist von großer Relevanz, um Mitarbeiterbindung zu verstehen.
Das geva-institut begleitet seit über 30 Jahren Unternehmen und öffentliche Institutionen bei ihren Mitarbeiterbefragungen. Identifikation und Loyalität (Bindung), Einsatzbereitschaft und Gestaltungswille (Engagement), Arbeitsenergie und eine Gesamtbewertung der Arbeitssituation sowie der Arbeitgeberattraktivität sind seit jeher wichtige Zielgrößen, um die von den Mitarbeitenden beschriebenen Arbeitsbedingungen in ihrem Einfluss auf die motivationale Lage einzuschätzen.
Die Vergleichbarkeit der Projekte wurde durch die Verwendung zentraler Core-Items sichergestellt, die in allen Projekten abgefragt wurden. Dadurch konnten die Ergebnisse aufeinander bezogen und analysiert werden. Insgesamt wurden 52 verschiedene Aspekte der Arbeit untersucht. Um die Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen und der Mitarbeiterbindung zu bestimmen, wurden die beiden Variablen „Identifikation“ und „Loyalität“ in einem gemeinsamen Score „Mitarbeiterbindung“ zusammengefasst. Berechnet wurden jeweils Korrelationen. Bei der hohen Anzahl von Befragten sind alle Korrelationen signifikant, mindestens auf dem 1% Niveau.
Branchenübergreifende Bindungsfaktoren
Über alle Branchen und Projekte wurden die folgenden Faktoren besonders stark mit der Mitarbeiterbindung in Verbindung gebracht (in Klammern: Korrelationen):
- Wertschätzung der Mitarbeitenden (r= .46)
(Bsp.: respektvoller Umgang, Wohlergehen der Mitarbeiter hat im Unternehmen hohen Stellenwert, Gleichbehandlung aller Mitarbeitenden unabhängig von Position und Funktion) - Arbeitsaufgaben und Tätigkeiten (r= .43)
(Bsp.: Ich habe Freude an meinen Arbeitsaufgaben) - Gesundheitsorientierung (r= .33)
(Bsp.: Unternehmen achtet auf die Gesundheit der Mitarbeitenden) - Arbeitsorganisation und Prozesse (r= .32)
(Bsp.: Arbeitsabläufe sind gut organisiert, Zuständigkeiten sind klar festgelegt - Anerkennung der Leistung (r= .32)
(Bsp.: Gute Leistungen werden anerkannt)
Besonders niedrige Korrelationen zeigen Merkmale wie externe Kundenorientierung, (r= .05), Markt-/ Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmen (r= .07), die Einhaltung von Regeln und Vorschriften (z.B. Compliance; r= .08) und Kostenbewusstsein (r= .16). Die Zusammenarbeit mit den eigenen Kollegen (r= .16) oder anderen Abteilungen (r= .17) steht nur in sehr niedriger linearer Beziehung zur Bindung. Die Zufriedenheit mit dem Gehalt ist kein bedeutender Bindungsfaktor und liegt mit einer Korrelation von r= .29 lediglich im großen Mittelfeld der übrigen Arbeitsmerkmale.
Es fällt ins Auge, dass emotional konnotierte Arbeitsmerkmale wie Wertschätzung, Anerkennung der Leistung und Freude an den Arbeitsaufgaben die wesentlichen Zusammenhänge mit der Mitarbeiterbindung aufweisen. Die Gesundheitsorientierung des Arbeitgebers - gemeint ist damit die Bewertung der Fürsorgeleistung des Arbeitgebers zur Gesunderhaltung der Mitarbeitenden - gehört ebenfalls zu den eng mit der Mitarbeiterbindung verknüpften Merkmalen. Aber auch die Arbeitsorganisation spielt eine Rolle für die Mitarbeiterbindung. Offensichtlich wünschen sich Mitarbeitende funktionierende Prozesse.
Branchenspezifische Bindungsfaktoren
Der starke Einfluss emotional gefärbter Themen, wie die wahrgenommene Wertschätzung der Mitarbeitenden im Unternehmen, zieht sich durch alle Branchen durch. Der Zusammenhang der verschiedenen Arbeitsmerkmale mit dem Bindungsmerkmal „Identifikation“ ist in der Regel höher als der Zusammenhang mit dem Bindungsmerkmal „Loyalität“. Das gilt besonders deutlich für die Industrie. Dort, in der (fertigenden) Industrie haben zusätzlich die Themen „Arbeitsplatzausstattung“ (r= .36) und „Informationsfluss im Unternehmen“ Bindungscharakter (r= .33). Die Vergütung spielt hier eine größere Rolle für die Bindung als in den anderen Branchen.
Bei IT- und Ingenieurdienstleistern stehen die Wertschätzung der Mitarbeitenden im Unternehmen und die Gesundheitsorientierung, wie in anderen Branchen auch, im Vordergrund. Ihr Zusammenhang mit der Mitarbeiterbindung ist hier aber deutlich stärker ausgeprägt. Speziell ist der Einfluss der Führung: Glaubwürdigkeit und die Informationsleistung der direkten Führungskraft hat bei IT- und Ingenieurdienstleistern eine höhere Priorität als anderswo und auch die persönlichen Handlungsspielräume sind Mitarbeitenden dieser Branche besonders wichtig.
Bindungsfaktoren im Bereich IT- und Ingenieurdienstleistungen
- Wertschätzung der Mitarbeitenden (r= .53)
- Glaubwürdigkeit der direkten Führungskraft (r= .53)
- Gesundheitsorientierung (r= .48)
- Handlungsspielräume (r= .44)
- Zeitnahe und ausreichende Information durch die direkte Führungskraft (r= .43)
Bei Mitarbeitenden aus Unternehmen, die vorrangig kaufmännische Dienstleistungen erbringen, haben das Vertrauen in die Geschäftsführung allgemein und die Zuversicht, dass die Geschäftsführung das Unternehmen zukunftsorientiert weiterentwickelt, messbaren Einfluß auf die Mitarbeiterbindung. Auch das Ausmaß psychischer Anforderungen spielt hier eine Rolle.
Bindungsfaktoren im Bereich kaufmännischer Dienstleistungen
- Wertschätzung der Mitarbeitenden (r= .42)
- Arbeitsaufgaben und Tätigkeiten (r= .38)
- Geschäftsführung: Vertrauen und Zukunftsorientierung (r= .33)
- Arbeitsorganisation und Prozesse (r= .27)
- Psychische Anforderungen (r= .27)
Bindungsfaktoren im öffentlichen Dienst
- Arbeitsaufgaben und Tätigkeiten (.46)
- Wertschätzung der Mitarbeitenden (.39)
- Informationsfluss im Unternehmen (.37)
- Entscheidungsprozesse (.36)
- Arbeitsorganisation und Prozesse (.33)
Bindungsfaktoren in Gesundheit, Pflege und Soziales
- Wertschätzung der Mitarbeitenden (.48)
- Kostenbewusstsein (.44)
- Markt- und Wettbewerbsfähigkeit (.42)
- Arbeitssicherheitsstandards (.41)
- Psychische Arbeitsanforderungen (.41)
Fazit
Arbeitsbedingungen, die durch die emotionale Brille gesehen und bewertet werden, stehen in allen Branchen in starkem Zusammenhang mit der Mitarbeiterbindung. Generell scheinen zudem solche Arbeitsmerkmale einen starken Einfluss auf die Bindung zu haben, die von den meisten Mitarbeitenden im Alltag vermisst werden. Über alle 64 Projekte hinweg wurde die Wertschätzung der Mitarbeitenden als der stärkster Bindungsfaktor identifiziert. Dies zeigt, dass die wahrgenommene Wertschätzung seitens des Unternehmens und die Anerkennung von Leistungen erheblichen Einfluss auf die Bindung der Mitarbeitenden hat. Bleibt die Wertschätzung aus, dann wird man Mitarbeitende verlieren, emotional oder physisch. Weitere branchenübergreifende Bindungsfaktoren sind die Zufriedenheit mit den Arbeitsaufgaben und -tätigkeiten sowie die Gesundheitsorientierung des Unternehmens.
Alle Sachverhalte, auch objektiv zu bemessende wie Arbeitsmittel, Vergütung oder Arbeitszeiten, werden von den Menschen mit den persönlichen Erwartungen und Ansprüchen verglichen, subjektiv interpretiert und auf dieser Basis bewertet. Mitarbeiterbefragungen messen subjektive Realitäten. Die oft gehörte Aussage von Managern „das können die Leute doch gar nicht objektiv beurteilen“ stimmt, spielt aber keine Rolle. Als Arbeitgeber kann man sich vortrefflich darüber ärgern, dass die aus eigener Sicht doch sehr positiven Arbeitsbedingungen von der Belegschaft nicht angemessen gewürdigt werden. Leider hilft der Ärger nicht weiter – die Belegschaft entscheidet halt subjektiv, ob die Arbeitsbedingungen „ankommen“ oder eben nicht.
Um die Bindungsfähigkeit der eigenen Organisation zu stärken, beginnt man mit der Diagnostik, der Messung der Stärken und Schwächen der Organisation aus Sicht aller Mitarbeitenden und Führungskräfte. Die differenzierte Analyse der Arbeitsbedingungen und der Motivationslage der Mitarbeitenden ist der erste Schritt auf dem Weg zu mehr Mitarbeiterbindung. Es folgt die Aufklärung der Hintergründe der Ergebnisse, die Ursachenanalyse. Dann erst kommt die Handlungsplanung und dann beginnt die Umsetzung zielführender Aktivitäten zur Verbesserung. Immer vor dem Hintergrund: Was stärkt die Bindung besonders.
Autoren
geva-institut, Beraterin, Projektmanagerin
geva-institut, Geschäftsführender Gesellschafter