Kognitive Fähigkeiten stehen hoch im Kurs
Die Unternehmen wollen zunehmend modulare Testverfahren einsetzen, die sich inhaltlich konfigurieren und auf die Anforderungen der verschiedenen Berufe hin anpassen lassen. Dennoch sollen die verschiedenen Testvarianten auf einer gemeinsamen Test-Plattform aufbauen. Das ermöglicht Mehrfachdiagnosen – also die Aussage, ob man vielleicht für einen anderen Beruf in Frage kommt, wenn man beim eigentlichen Zielberuf nicht erfolgreich war. Bei rückläufigen Bewerberzahlen macht dieser Blick nach links und rechts durchaus Sinn. Die Bereitschaft, Home-Tests zuzulassen, hat sich übrigens deutlich erhöht.
Die Inhalte der Tests haben sich nicht grundsätzlich verändert, wenn man von den bereits angesprochenen Erweiterungen hinsichtlich der beruflichen Motivation und der Schlüsselqualifikationen einmal absieht. Wohl aber verändert haben sich die Anforderungen der Unternehmen und die mitgebrachten Kompetenzen der Berufseinsteiger. Wir haben die Testergebnisse von Teilnehmern aus dem Jahr 1999 mit denen aktueller Teilnehmer verglichen. Besonders auffällig ist der Trend, dass man heute weniger bereit ist, persönlich Verantwortung zu übernehmen. Das Interesse an Berufen wie zum Beispiel Polizei ist deutlich angestiegen, das Interesse an Marketing- und IT-Berufen hat nachgelassen. Im Leistungsbereich haben wir eine Verschlechterung der Testergebnisse von 1999 bis 2015 festgestellt. Das gilt insbesondere für das Textverständnis und das Allgemeinwissen. Möglicherweise liegen die Ursachen hierfür in einer veränderten Mediennutzung. Aber auch bei den mathematischen und sprachlichen Fähigkeiten zeigt der Pfeil für Absolventen aller Schulformen tendenziell nach unten.
Häufig werden Online-Testverfahren für die Vorauswahl potenzieller Auszubildender oder Studenten im dualen Studium verwendet. Wenn man zum Beispiel pro Jahr 4.000 Bewerbungen erhält, kann man nicht mit all diesen Bewerbern persönlich reden. Daher wird ein Auswahltest vorgeschaltet, um zu erkennen, wer am besten das Anforderungsprofil trifft. In der Regel wird man sich mit den 20 Prozent der Bewerber weiter beschäftigen, die den besten Passungswert erzielen. Mit diesen Personen wird dann ein Interview geführt oder man lädt zu einem Assessment Center ein.
Der geva-test® ist komplett variabel. Wie in einem Baukastensystem können die Testmerkmale frei kombiniert werden. Für unterschiedlich qualifizierte Bewerbergruppen gibt es Aufgaben unterschiedlicher Schwierigkeiten. Die Anforderungsprofile einzelner Berufe werden für alle Merkmale exakt definiert. So kann festgelegt werden, welches Ergebnis bei welchem Merkmal wie beurteilt wird. Darüber hinaus können die Gewichtungen von Merkmalen und Merkmalsbereichen variabel eingestellt werden. Cut-Offs, also Ausschlussbedingungen bei Nichterreichen besonders wichtiger Anforderungen, lassen sich merkmalsspezifisch einrichten. Im Rahmen der Testauswertung wird für jeden Bewerber ermittelt, wie gut das Anforderungsprofil getroffen wird. Dabei zählen höher gewichtete Merkmale stärker als nachrangig priorisierte Eigenschaften.
Tests sind ein sehr effizientes Verfahren in der ersten Phase der Auswahl, wenn es darum geht, aus einer großen Menge von Bewerbern diejenigen auszuwählen, die mit einer großen Wahrscheinlichkeit das Anforderungsprofil treffen – oder die das Anforderungsprofil nicht treffen. Tests ersetzen aber nicht die Einschätzung eines Kandidaten im persönlichen Kontakt.
Eine Übersetzung von Testverfahren für Flüchtlinge ist möglich – aber die Interpretation dieser Testergebnisse ist eine Herausforderung: kulturspezifische Inhalte können nicht verwendet werden. Dennoch können entsprechend aufbereitete Testversionen hilfreich sein, zum Beispiel als strukturelle Entscheidungshilfe, um einen Bewerber hinsichtlich seiner beruflichen Vorstellungen und Kompetenzen besser kennenzulernen. Kognitive Merkmale im Bereich der logisch-analytischen oder mathematischen Fähigkeiten lassen sich mit deutschen Standards vergleichen. Bei den motivationalen und verhaltensbezogenen Merkmalen geben die Testergebnisse dem auswählenden Unternehmen eine erste Orientierung.
Wir begleiten einerseits Jugendliche mit berufsorientierenden Testverfahren. So erkennen wir auf breiter Basis, was künftige Berufseinsteiger können und wollen. Auf der anderen Seite beraten wir Unternehmen, solche Talente zu erkennen, die das betriebliche Anforderungsprofil bestmöglich treffen. Die Kenntnis beider Perspektiven hilft uns dabei, unsere Testverfahren inhaltlich und methodisch ständig weiterzuentwickeln, wie bereits in den letzten 27 Jahren geschehen. Die künftigen Entwicklungen sind aber nicht ausschließlich inhaltlich getrieben sondern auch technisch. Schließlich verändern sich die technischen Möglichkeiten und die Nutzungsgewohnheiten der Anwender sowohl auf Seiten der Bewerber als auch auf Seiten der Unternehmen rasant.
Gerhard Bruns, Jahrgang 1960, studierte Psychologie und Sozialwissenschaften, arbeitete einige Jahre am Max-Planck-Institut für Psychiatrie und gründete 1988 mit zwei Partnern das Münchner geva-institut. Mit 35 Mitarbeitern hat sich das geva-institut auf die Organisations- und Personaldiagnostik spezialisiert.